Ciao ihr Lieben!
Erstens kommt es anders, zweitens als man plant.
Ursprünglich hatte die Orga-Rieke sich in den Kopf gesetzt, direkt nach der
Amalfiküste auf eine Fähre ab nach Sizilien zu hüpfen. Dieser Plan zerschlug
sich spätestens nach meiner wunderbaren Tretboot-Erfahrung auf offenem Meer. Bei
der Vorstellung, für zehn Stunden auf einer Fähre eingeschlossen zu sein, drehte sich bei mir der Magen gleich schon wieder um. Gleichzeitig hatte ich durch die
Gespräche mit meinen Hosts und deren Freunden beschlossen, ein wenig die
Richtung zu ändern, und etwas von Basilikata und Apulien zu sehen. Eine Woche
Umweg habe ich also gemacht und dabei habe ich übrigens das erste Mal die
italienischen Überlandbusse kennengelernt. Ich sage euch: Ziemlich
unbürokratisch, günstig, pünktlich und entspannt. Das läuft bei denen!
Meine erste Station: Matera. Matera ist ein Juwel inmitten vom
Nichts, mit einer atemberaubend schönen Altstadtsiedlung: Den Sassi. Die
Höhlenwohnungen wurden nach und nach in den Felsen der steilen Steinschlucht
gehauen, an der Matera gebaut wurde. Nach und nach heißt: In den letzten 9000
Jahren. Schon in der Steinzeit hingen hier die ersten Menschen rum. Entstanden
ist über die Jahrtausende ein Labyrinth aus Höhlen, Gassen, Kellergewölben und
ursprünglichen Kirchen, in dem man sich ganz wunderbar den ganzen Tag lang
verirren und verlieren kann. Wenn man dann von einem der Aussichtspunkte auf
die Sassi blickt und alles zu einem großen Ganzen zusammen setzen kann, hat man das
Gefühl, in einer lebensechten Weihnachtskrippe zu stehen. Sieht aus wie
Bethlehem, sagen einige. Mel Gibson übrigens auch – der hat seine (grottige)
Passion damals hier gedreht.
Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie Geschichte funktioniert.
Heute ist die Stadt offiziell UNESCO-Weltkulturerbe und tagtäglich verirren
sich hunderte Touristen aus der ganzen Welt in den kleinen Gässchen des
Sandsteinlabyrinths. Ständig werden weitere Sassi aufwändig restauriert und zu
luxuriösen kleinen Bed & Breakfasts oder süßen Restaurants umgebaut. Wenn
man Matera heute sieht, kann man sich überhaupt nicht vorstellen, dass die
Stadt bis zum zweiten Weltkrieg als absoluter Schandfleck galt. Denn Hausen in
der Höhlenwohnung war damals alles andere als romantisch. Noch bis in die
1950er hieß es: Dreck, Elend, Armut. Zusammenleben in einer Höhle mit Kuh und
Esel und 20 Hühnern unterm Bett. Dann wurden die Menschen umgesiedelt und die
Sassi standen leer. Erst in den Achtzigern hat sich das Blatt gewendet. Heute
unterstützt der Staat jeden, der sich bereit erklärt, ein Sassi zu kaufen und zu
restaurieren.
Ich habe in den paar Tagen in Matera allerdings nicht in den Sassi
gewohnt. Das wäre – tatsache – zu teuer. Ein paar Meter Bergauf war ich dafür
zu Gast bei einem goldigen älteren Ehepaar und hatte dort ein eigenes kleines Apartment.
Mein Gastgeber verwaltete allerdings auch ein Sassi-B&B mit angeschlossener
„Cantina Storica“. Dort hat er am ersten Abend für mich ausgehungerte Reisende
gekocht. Selbstgebackene Brote, verschiedene regionale Käsesorten, Suppe,
Pasta... um es kurz zu machen: ich habe gegessen, bis ich - ohne Übertreibung, jetzt – nicht mehr laufen konnte und mein einziger Gedanke war: Oh Gott, wie
komme ich den Berg hoch und in mein Bett? Kurz gesagt also: Ganz wunderbar!
Alles nur für mich!
Wunderschön am Reisen ist es ja auch irgendwie, immer wieder
auf neue Menschen zu treffen - auch und besonders auf solche, die so ganz anders ticken
als man selbst. Mit meinem Gastgeber in Matera hatte ich dabei glaube ich auf
ein Extrem getroffen, wie sonst zuvor noch nie. Ein Philosoph und Eigenbrödler,
ein wirklich herzensguter Süditaliener, der die Dinge aus Prinzip so langsam
angeht, dass gemeine Schnecken ihn zweimal umrunden, und der sich in
Diskussionen so sehr verstricken kann, dass selbst andere Italiener verwirrt den
Kopf schütteln. Ich habe festgestellt: Man führt mit Menschen, die sich so von
einem selbst unterscheiden, die wahrscheinlich allerinteressantesten Gespräche.
Weil sie andere Fragen stellen als man selbst und andere Antworten haben – aber
sie bringen einen auch an die äußersten Grenzen der eigenen Geduld. Wenn über
eine Diskussion aus Slow Food nur noch Slow übrig bleibt, eine Autofahrt statt
zwei fünf Stunden dauert, oder man einer militanten Abneigung gegen jede Form
von Organisation begegnet – dann lautet die Lektion also wieder erneut:
Akzeptanz....diesmal allerdings gepaart mit tief durchatmen und sich meditativ
mantramäßig immer wieder sagen, dass man gaaaaanz viiiieeeell Zeit hat. Und
deutsch sein? Einfach mal komplett ablegen. Am Ende tut das vielleicht sogar
auch mal ganz nicht so schlecht!
Aber zurück zum Thema: Wer auch einmal Zeit haben sollte,
die etwas abgelegeneren Orte Italiens zu entdecken (und, wie der Zufall es
bringt, vielleicht auch ein paar Italiener von der ganz speziellen Sorte),
sollte jedenfalls unbedingt nach Matera fahren! Mystisch, surreal, wunderschön!
Als nächstes geht es dann weiter mit meinem kleinen Abenteuer in Puglia!
A Presto!
Rieke